Aktivismus an der Hochschule
Sind Sie Aktivistin? Wenn ja, warum/ Wenn nein, warum nicht?
In meiner Arbeit geht es um Zusammenhänge, die seit langem erforscht und artikuliert werden, konkret um die Wechselwirkungen zwischen Architektur, Bauwesen, Finanzsektor und globaler Erwärmung. Wissenschaftlich erarbeitete Erkenntnisse vertrete ich in öffentlichen Veranstaltungen und in der Lehre. Ableitungen aus dieser Arbeit verbreite ich in unterschiedlichen Formaten und Medien. Ich versuche, angemessene Wege zu finden, um den Themen, die ich untersuche, und ihrer Dringlichkeit gerecht zu werden. Häufig bedeutet dies, sich in aktuelle Diskurse, in politische Diskussionen, in Debatten einzumischen. Wenn ich zusammen mit Studierenden signifikante Leerstände untersuche und im Rahmen von Seminaren und Entwürfen Vorschläge entstehen, wie Leerstände anders verstanden oder auch neu bespielt werden können, dann gehen wir mit diesen Ideen auch an die Öffentlichkeit. Wenn wir zu Klima forschen und sich historische wie zeitgenössische Verstrickungen von Architektur und Kapital auftun, dann werden diese Erkenntnisse öffentlich publiziert, um so auch diskutiert werden zu können. Macht mich das Eintreten für diese Themen, das Beziehen von Positionen, das Einnehmen einer Haltung, die Beschäftigung mit ethischen Fragen zu einer Aktivistin? In den Augen mancher sicher. Aber ich mochte noch nie Schubladen, deshalb würde ich mich nicht als Aktivistin bezeichnen.
Welchen Stellenwert hat Aktivismus im Architekturstudium und wie lässt sich beides verbinden?
Das Agieren im immer noch vorherrschenden neoliberal-imperialistischen Mainstream wird in der Regel nicht als Aktivismus wahrgenommen. Sich hingegen für nachhaltiges Bauen, für Nicht- oder Weniger-Bauen einzusetzen und dies als Forderung zu artikulieren und als Position zu vertreten, fällt plötzlich in die Kategorie Aktivismus. Es muss klar sein, dass Architektur nicht wertfrei ist. Sie ist immer politisch, sie bezieht immer Position. Architektur bzw. Architekt*innen mischen sich per definitionem immer ein, sind also immer aktivistisch. Sich dieser einfachen, aber folgenreichen Tatsache bewusst zu werden, zu verstehen, dass jede Entscheidung einen Rattenschwanz an Konsequenzen nach sich zieht, die tiefgreifende Einschnitte in sozialräumliche Gefüge zur Folge haben oder neue sozialräumliche Gefüge konstituieren, halte ich für ein wichtiges Ziel des Architekturstudiums. aDiese Überlegungen sind zentral für die Lehre am Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt der TU Braunschweig. Um diese Gemengelagen besser zu verstehen, lehren wir in diesem Zusammenhang wissenschaftliches Arbeiten: das Finden und Bearbeiten von Quellen, das Zitieren, die Anwendung unterschiedlichster methodischer Ansätze, wir erklären wissenschaftliche Systeme und üben uns in der kritischen und systematischen Bewertung bestehender Zustände – mit dem Ziel, Dinge, Prozesse, Abläufe, Situationen zu verbessern; das heißt: ausbeuterische und gewaltsame Systeme ebenso wie imperialistische Lebensweisen hinter uns zu lassen und bessere Formen des Zusammenlebens zu finden.
Welche Themen bestimmen den Hochschulalltag an ihrer Hochschule?
Einige Themen, die Hoffnung machen. Viele andere, die kein rasches Voranschreiten versprechen.
Inwiefern fördern Sie Engagement bei den Studierenden? Oder: Wie wirkt sich ihr eigenes aktivistisches Handeln auf ihre Lehre aus?
Ich beziehe das aktuelle weltpolitische Geschehen in meine Lehre ein und zeige auf, dass viele gegenwärtige Entwicklungen auf historischen Entscheidungen beruhen. Diese historischen Entscheidungen und ihre Wirkungsweisen müssen verstanden werden, um die vielschichtigen systemischen Ungerechtigkeiten heute angehen zu können. Wie bereits angedeutet gehört ein Verständnis der kapitalistischen Verstrickungen des Bauwesens, der Kommodifizierung und Finanzialisierung von Raum, der kritischen Auseinandersetzung mit Land, Ressourcen, Materialien – auch auf globaler Ebene – in die Architekturausbildung: eyes-wide-open als einzige Option. Woher kommen die Dinge? Wie und von wem werden sie produziert und gehandelt? Wer entscheidet worüber? Oder frei nach Lucius Burckhardt: Wer plant die Planung? Viel zu oft wird Architektur nicht in diesen großen Zusammenhängen gesehen, als komplexe Umweltgestaltung oder als kritische Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Zuständen. Ich verstehe meine Rolle ganz klar darin, Praxismodelle und Handlungsoptionen aufzuzeigen, um nicht nur nicht-nachhaltige Infrastruktur- und Raumstrukturen zu überwinden, sondern auch gerechte Raumproduktionen zu ermöglichen.