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(Inter)acting

Der Kopf muss raus aus dem Sand! – oder: Kopf im Sand ist keine Haltung

Writing
Tatjana Schneider

Prolog

Wohnungsnot. Soziale Ungleichheit. Klimanotstand. Um die mittlerweile so berühmten Worte Greta Thunbergs zu benutzen: The world is on fire. Viel, sehr viel muss getan werden. Keine und keiner kann mehr so tun als ob es ihn oder sie nicht angeht.

„Aber, Architektur...“

Stopp.

Falsch.

Architektur, Stadt, ist kein Nebenschauplatz in dieser Debatte. Und, nein: Planende und Raumschaffende können sich hier nicht aus der Verantwortung zeichnen. Gebäude und Infrastrukturen sind finanzialisierte Objekte, sind Anlagen für die Wenigen, sind Spekulationsobjekte und Rentenversicherung, sind immense ressourcenfressende Apparate. All das ist schon lange kein Geheimnis mehr. Die Konsequenzen – hier, wie an anderen Orten – sind unübersehbar, offensichtlich, nicht wegzureden.

Was tun?

Ganz schnell? Mein Elevator Pitch?

Well, just don’t say: Will jemand am Wettbewerb für das neue Headquarter von Haliburton mitmachen?

But: do say: Ich werde mich mit anderen solidarisieren und mit Netzwerken arbeiten, die alle gewalttätigen Formen der Produktion und Reproduktion von Raum bekämpfen.

Kapitel 1 – oder die Frage danach was eine Wurstmaschine mit Architekturlehre zu tun hat.

Hier im Bild die Wurstmaschine der Dinosaurier Piraten aus dem Kinderbuch Captain Flinn and the Pirate Dinosaurs. Die Piratendinosaurier haben ein Kind gefangen genommen und wollen es zu Wurst verarbeiten. Die Freunde des entführten Kindes kommen den Dinosaurier Piraten auf die Spur und können den Plot – in letzter Sekunde – vereiteln. Flinn, der Protagonist der Serie, rammt sein Schwert in diese riesige Wurstmaschine. Der Apparat spluttert. Er klonkt. Er ächzt. Und dann explodiert sie – die gewaltige, gemeine Maschine. Boom! Das entführte Mädchen, das zu Wurst hätte gemacht werden sollen, ist gerettet. Die Piraten – zumindest vorübergehend besiegt. Alles ist gut. Das Böse konnte vereitelt werden. Die Kinder sind glücklich. Die Dinosaurier Piraten nicht. Das nächste Abenteuer kommt deswegen bestimmt. .... Aber – was hat das nun mit der Architektur zu tun?

Kapitel 2 – Über Cedric Price sowie schulische und universitäre Systeme als Strangpressperfahren.

Ich zitiere Cedric Price herbei, den großen – viel zu früh verstorbenen – britischen Mann. Architekt war er – berühmt wie fast kein anderer trotz der Tatsache, dass nur 1 Gebäude, das er in seinen knappen 70 Lebensjahren geplant hat, noch steht.

Allerdings bildet aber dieses 1 Gebäude, diese Vogelvoliere im Zoo in London, 50% seines gebauten Lebenswerks ab. Die 2. von ihm entworfene bauliche Struktur – das Interaction Centre – war als temporäres Gebäude konzipiert und wurde – wie von Anfang an von Price geplant – nach etwa 25 Jahren abgerissen. Dies geschah sehr zum Bedauern vieler seiner Kolleg_innen. Denn viele hatten gehofft, das Gebäude vor dem Abriss retten zu können. Einige hatten sogar versucht die Struktur unter Denkmalschutz stellen zu lassen. Für Price war das Retten-Wollen allerdings eine untragbare Position. Er war ein vehementer Kritiker derer, die versuchten dieses Gebäude – for generations to come – zu sichern. Warum, so fragte er immer wieder, solle dieses Haus stehen bleiben? Es war doch nur für eine bestimmte Periode, für eine temporäre Nutzung geplant worden. Es mache keinen Sinn, so Price, das Haus um jeden Preis zu erhalten. Wofür? So wurde der Architekt selbst zu einem der most-outspoken Kritiker seiner Kolleg_innen, die versuchten etwas, das nicht für die Ewigkeit gemacht worden war, in die Hände der Ewigkeit zu legen.

Doch ich schweife ab.

Eigentlich war ich bei der Wurstmaschine.

Das Bild der Wurstmaschine sitzt hier, weil Cedric Price mal was über diese Dinger und Architektur geschrieben hat. 1971 war das.

In diesem Text schreibt er davon wie „disturbing“ – so seine Worte – das „educational system“ sei. Price geht es nicht nur um die Universitäten. Auch die Grundschulen und weiterführenden Schulen sind für ihn etwas das er „sausage machine“ nennt.

Er redet davon, wie Kinder in und durch diese Apparate und die Prozesse, die sie durchlaufen müssen - regelrechte Strangpressverfahren – einem totalen Form-ierungs-prozess unterliegen.

Wie sie in „tubes“ / in Röhren - gepresst werden.

Aus der Schul-tube entlassen, geht es in die nächste Röhre – die der Universität. Auch da geht es rein – und nach 5, 6, 7 Jahren kommt man wieder raus. Zwischen Eintreten in die Röhre und dem Austreten passiert viel – aber eben nur innerhalb der Röhre. Denn eine Perforation gibt es – eigentlich - nicht.

Nun mögen schulische oder universitäre Systeme in England und in Deutschland unterschiedlich sein, doch würde ich dennoch behaupten, dass trotz einer oberflächlichen Unterschiedlichkeit ganz ähnliche Dinge in diesen von der Außenwelt abgeschotteten Systemen passieren. Denn der Spielraum den wir als Lernende, den Sie als Lernende haben ist – hier wie da und vielleicht etwas provokativer formuliert als notwendig – verschwindend gering.

Ganz konkret auf das Studium der Architektur bezogen steht z.B. von vorneherein fest wie viel Entwurf, wie viel Geschichte, wie viel Theorie, wie viel Konstruktion notwendig ist, um einen Abschluss in Architektur zu bekommen. Klar, die Inhalte können – je weiter fortgeschritten im Studium – zu einem gewissen Grad selbst entschieden werden. Sie dürfen sich vielleicht aussuchen bei wem Sie einen Entwurf machen. Auch können Sie freie Entwürfe machen. Doch um die Entwürfe, ganz egal was man davon hält, geht kein Weg drum herum. Sie können also nicht einfach für sich bestimmen, dass Sie nur Seminare belegen wollen. Sie können auch nicht für sich selbst entscheiden, wie lange Sie an etwas arbeiten wollen. Das alles heisst also: die großen Bestandteile, die Menge der Zutaten und viele der Zutaten selbst sind nicht verhandelbar.

Ist es daher nicht ganz selbstverständlich, dass - durch Prozesse genauso sowie die starke Kontrolle über Abläufe und Inhalte - das [in Anführungszeichen] ‚Produkt‘ – also die Architekturabsolventin / der Absolvent – beeinflusst wird? Dass eine Absolventin, noch mal anders gesagt, nicht auch immer das Produkt des Wissen, der Instrumente oder Tools ist, die an sie herangetragen wurden?

Doch auch hier schweife ich etwas ab.

Kapitel 3 – Deluded Detachment

Worauf ich hinaus will ist folgendes.

Genauso wie mit der Klimakrise, dem Klimanotstand oder den Verquickungen von Architektur mit der Immobilien- oder Bauindustrie, ist auch die Kritik am Studium der Architektur (oder der Architektur ‚proper‘) keine neue.

Zum Beispiel hat der Italiener Manfredo Tafuri in den 1970ern immer wieder und immer heftiger gegen den Fokus auf das Entwerfen gewettert. Zu viel Platz, zu viel Raum würde das Entwerfen einnehmen – das ja häufig als ‚the mother of all skills‘ betrachtet. Tafuris Kritik lag auch darin, dass der Entwurf später nur noch einen Bruchteil von dem einnimmt was den Beruf der Architekt*in ausmacht. Vielleicht würde dieser Fokus im Studium, so Tafuri, gar ein falsches Bild vom tatsächlichen Handlungsspielraum vorgaukeln, den Architekt*innen in der ‚richtigen‘ Welt, haben.

Auch über Rayner Banham könnten wir an dieser Stelle sprechen, der in den 1990er Jahren die Architekturausbildung als “black box” bezeichnet hat und dabei eigentlich genau das beschreibt was Cedric Price, überhöht sarkastisch, mit ‚tubes‘ / oder Röhren titulierte.

Oder Greig Crysler, der erst vor wenigen Jahren darüber schrieb – dass trotz der ganzen Kreativität, die das Studium der Architektur haben könnte, am Ende doch nur passive Subjekte produziert werden würden; Experten, die durch ihr limitiertes Wissen ob der sozialen, ökonomischen und politischen Kräften, von denen die Architektur alles andere als autonom ist, nicht weiter entfernt nicht sein könnten.

Auch Helena Webster will ich noch anführen, die in Ihren Texten davon erzählt, wie universitäre Ausbildung und Lernen so strukturiert ist, dass viele Dinge normalisiert werden, die von niemandem sonst, außer den Architekturschaffenden selbst als ‚normal‘ angesehen werden – totale Selbstausbeutung, ein bestimmter Habitus, eine irrationale Vorliebe für Beton.

Jeremy Till nennt das ganze einfach nur ‚deluded detachment‘ – eine totale Verblendung von Seiten der Architektenschaft darüber, dass dinge, die nicht zur Welt der Formen und Schattenfugen gehören, nichts mit Architektur zu tun hätten.

Kapitel 4 – Annäherungen an das Örtliche, an die Angelegenheiten und einem Architektur- und Raumbegriff für den das Kopf-in-den-Sand stecken keine Option ist

Nun können wir Lehrenden, die wir ja auch Teil dieser Maschine sind, nur bedingt eingreifen.

Auch uns – dem Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt – steht nur ein bestimmter (kleiner) Bauteil zur Verfügung. Wir sind eine der Zutaten, die dem ganzen Prozess – den im Strangpressverfahren entstehenden Einheiten - einen leichten, wenn auch nicht zu starken, Twist verpassen (soll). Denn der Entwurf ist immer noch die mother of all skills und der rest ist nebenfach, nebensache, beiwerk.

Doch hier aufzugeben, klein beizugeben und sich dieser von anderen definierten untergeordneten Rolle fügen – ist keine Option.

Wir wollen eingreifen und werden dies tun.

Mitmischen wollen wir – in all den Dingen – von denen oft gesagt wird, dass sie nichts mit Architektur zu tun haben und doch so zentral sind für das was Architektur ist oder eher auch sein könnte.

Hier kommt nun endlich dieses von uns vorerst nur für dieses Semester etablierte Institut für Örtliche Angelegenheiten ins Spiel.

Das Örtliche – genauso wie die Angelegenheiten – ist Forderung genauso wie Notwendigkeit für eine Raumpraxis, die sich aus anderen Werten speist und die für mich eben nicht nur Kritik an diesen gängigen Praktiken, Verhaltens- und Lernweisen ist.

Beschwören Sie also noch mal das Bild der Wurstmaschine herauf und Flinn, die kleine Hauptfigur aus Captain Flinn and the Pirate Dinosaurs, der mit seiner geballten vermeintlich naiven Kinderkraft sein Schwert in die Maschine rammt um seine Freundin zu retten.

Boom.

Die Maschine explodiert.

Epilog

Genauso wie dieses Schwert, so verstehe ich die Arbeit hier am Institut.

Es geht mir darum – in unterschiedlichen Konstellationen und auch mit ganz unterschiedlichen Blickwinkeln, dieses wahnsinnig eigensinnige und ebenso eng-gesteckte Feld der Architektur ganz dezidiert und ganz gezielt zu perforieren.

So sollen noch so kleine Brüche und Risse in diesem geröhrten und stark kanalisierten educational und professional system mit Dingen und Geschichten genährt so genährt werden, dass sie sich ausweiten, ausbreiten, ausdehen können.

Dass die Existenz dieser cracks oder interstices kein Wishful-thinking ist und in Arbeit münden könnte die mühsam ist - ist Unsinn. Sie können hier ganz konkret auf globale Studien und Sammlungen von Beispielen zurückgreifen, die von dieser anderen Art der architektur- und raumpraxis spricht. Schauen Sie zum Beispiel auch auf das Projekt ‚spatial agency. Other ways of doing architecture‘ das ich zusammen mit Jeremy Till etabliert habe. Oder auf das Manifest „Architecture Schools should be dissolved, unless...“, das überspitzt formuliert was Architekturschulen eigentlich leisten, mit welchen Themen sie sich befassen sollten und warum.

Aber auch hier schweife ich leicht ab.

Was ich abschließend für heute sagen mag und was für mich Basis für das weitere Vorgehen darstellt ist folgendes.

Architektur und Architekturschaffende müssen sich mit den Themen unserer Zeit auseinandersetzen. Wir können auf die Probleme von heute nicht mit den Instrumenten und Ansätzen von vor 15, 20 oder 50 Jahren reagieren.

Kämpfe um Land, das Recht auf Stadt, Widerstand gegen die Übernahmen von Gemeingütern durch profitorientierte oder Börsennotierte Unternehmen, die graduelle Abschaffung von Stadt, Schadstoff- und Umweltbelastungen, Ungleichheiten jedweder Form – all das kann nicht, oder zumindest nicht ausschließlich, mit techno-mangerial approaches gelöst werden: mit megalomanen technischen Infrastrukturen, mit Bollwerken, mit Grenzzäunen, mit gated Communities, mit defensible architecture, mit anti-homeless designs, anti-public designs, etc etc etc.

Nicht davon, rein gar nichts, löst irgendwas.

Stattdessen – und dafür steht das institut für Örtliche Angelegenheiten – interessiert mich, wie wir gemeinsam mit anderen an Systemen, Prozessen und Dingen arbeiten können, die nicht die Hegemonie oder Vormacht ohnehin schon mächtiger Personen und Unternehmen stützen, sondern andere kommunitäre, tatsächlich inklusive, wahrhaftig partizipative und demokratische Systeme stärken.

Das alles ist kein kleines Unterfangen, doch irgendwo müssen wir doch anfangen, meinen Sie nicht?

Published by

Institut für Geschichte und Theorie der Architektur und Stadt (GTAS), 2020