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Researching

Schwellenregime: Öffentliche Freiraumgestaltungen als Skript und als Praxis

Martin Peschken und Christian von Wissel 

Welche Arten von Öffentlichkeit entstehen eigentlich in Räumen, die für die Öffentlichkeit gestaltet sind? Zwei Arbeitshypothesen liegen der Untersuchung dieser Frage zugrunde: zum einen, dass öffentliche Nutzungen nicht alle im selben Maß politischer Natur sind; zum anderen, dass Raumgestaltungen einen Einfluss auf die spezifische Art der Öffentlichkeit haben.

Die finanziellen und organisatorischen Aufwendungen zur Einrichtung und Pflege öffentlicher Freiräume werden von der öffentlichen Hand (und dem überwiegenden Teil der Planungstheorie) unter anderem gerechtfertigt, weil diesen eine hohe zivilgesellschaftliche Bedeutung beigemessen wird: Individuen würden sich hier als soziale Subjekte erfahren, lernten mit Fremdheit umzugehen, übten sich darin, unterschiedliche Interessen auszuhandeln und Verantwortung für die Gemeingüter zu übernehmen. Aus dieser Argumentation heraus wird die Pflege des öffentlichen Raums in politischen Statements, in Ausschreibungen und Entwurfsbeschreibungen oft in atemberaubendem Kurzschluss mit der Pflege einer offenen, demokratischen Gesellschaft gleichgesetzt.

Dieses Raumverständnis bildet die Grundlage der Planungsdisziplinen, auch wenn in ihre Theorie die Kritik aus den Sozialwissenschaften eingesickert ist, dass Raum kein Container ist, der programmiert wird und dann einfach zur Verfügung steht, sondern erst entsteht durch die Relationen zwischen Lebewesen und Dingen. Die zivilgesellschaftliche Offenheit und freie Zugänglichkeit städtischer Freiräume hat sich jedoch nie vollkommen realisiert, unterliegen die konkreten Planungsvorgaben doch hegemonialen Ausfabulierungen dessen, was von öffentlichem Interesse ist.

Der populistisch inflationäre Gebrauch des Wortes Angsträume deutet überdies darauf hin, dass diese Ziele nicht mehr nur positiv konnotiert sind. Die integrative Kraft städtischer Freiräume droht durch Terroranschläge und xenophobische bzw. minderheitenfeindliche Gewalt zunehmend in Frage gestellt zu werden. Auch kulturell unterschiedliche Nutzungs- und Aneignungsformen von Freiräumen stellen sich gegenwärtig in der angespannten Atmosphäre einer politisierten so genannten Migrationskrise mitunter als antagonistische Konflikte dar. Das Narrativ der urbanen Toleranzübung hat Konkurrenz bekommen durch das Narrativ der Überfremdung und Angst. Die Metapher der Agora wird überblendet von kollektiver Agoraphobie. Vor dem Hintergrund dieser Darlegung wird die aktuelle Relevanz der Frage nach dem Öffentlichkeitscharakter städtischer Freiräume deutlich.

Das Forschungsprojekt setzt die Ausdifferenzierung der Öffentlichkeit freilich nicht erst mit der Fertigstellung und Übergabe einer Gestaltung an die Bevölkerung an, sondern bereits in den politischen Prozessen, die auf Seiten öffentlicher Institutionen und zivilgesellschaftlicher Initiativen dazu führen, einen Handlungsbedarf zur (Um-)Gestaltung öffentlicher Räume zu bestimmen. Diese Planungsphase gilt es, diskursanalytisch zu rekonstruieren, um die dahinterstehenden konkreten Konzeptionen von Öffentlichkeit sichtbar zu machen. In diese Phase gehören auch die Vorschläge von Planerinnen und Planern in Form von Entwürfen und Entwurfsbeschreibungen. Diese (noch) imaginierten Arten von Öffentlichkeit können schließlich als Folie oder Skript dienen, um die konkreten Orte selbst zu erforschen und die hier beobachteten Aktivitäten, Interaktionen und Aneignungen auf ihren öffentlichen Charakter hin zu befragen. Dazu hält die soziologische Stadtforschung einen Methodenapparat zur empirischen Feldforschung (etwa teilnehmende Beobachtung, go-alongs, Interviews sowie audio-visuelle Methoden) sowie Interpretationsmodelle zur Auswertung der erhobenen Daten bereit, wie etwa die Anwendungen der Akteur-Netzwerk-Theorie auf den städtischen Raum, worauf unsere Forschung aufbauen kann. Zudem sind hier auch die Wirkungsmacht von Atmosphären und die Rolle gestalterisch-ästhetischer Phänomene mit einzubeziehen.

Auftaktworkshop mit und bei der Schader-Stiftung in Darmstadt im Mai 2018. Mit Melanie Humann, Gabriele G. Kiefer, Manfred Russo, Christoph Rodatz, Anna-Lisa Müller, Christian v. Wissel und Martin Peschken.