Einschneidend — Das vergessene Waldstück

Dieses Waldstück liegt am östlichen Rand Braunschweigs, inmitten des Naturschutzgebietes Riddagshausen. Mit seinen zwei Hektar Fläche und der Lage, umgeben von der Wabe, der Ebertallee und Gleisen, scheint es zunächst wenig Besonderes zu bieten. Doch bei genauerem Hinsehen verändert es seine Wirkung und erzählt eine Geschichte. Im Inneren wirkt es plötzlich groß, wild und ruhig.
Setzt der Verkehr für einen Moment aus, ist es sogar so ruhig, dass es fast verlassen wirkt. Es fehlen das Vogelgezwitscher und das Rascheln im Gebüsch – Umstände, die Fragen aufwerfen:
Wem gehört dieses Waldstück? In welchem Zustand befindet es sich? Wie belebt ist es? Wie wird die Natur hier geschützt? Warum ist es so umschlossen? Und welche Rolle spielen die angrenzenden Nachbarn?
Geht man diesen Fragen nach, gewinnt die Geschichte um dieses Waldstück mehr und mehr an Komplexität. Es zeigt sich, dass dieses Waldstück eine geschichtsträchtige Umgebung hat, geprägt von der Klosteranlage, dem Grünen Jäger, der Buchhorst und dem Jägerhof Riddagshausen. Es zeigt sich auch, dass dieses kleine Waldstück auf drei Eigentümer*innen aufgeteilt ist: die Deutsche Bahn AG, die Stadt Braunschweig und die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz. Doch alle drei Eigentümerinnen sind auf unterschiedliche Weise mit dem Staat verflochten. Außerdem ist die gesamte Umgebung, mit Ausnahme des Waldstücks, eine Überlagerung verschiedener Naturschutzzonen, deren Einhaltung durch den Staat kontrolliert wird. Auch der Eindruck, dass es ungewöhnlich ruhig ist, ist kein Zufall, denn dies ist der Zerschneidung des Waldes geschuldet. Das Ausmaß dieser Zerschneidungen wurde von einem Forschungsteam der North Carolina State University untersucht, das zu dem Ergebnis kam, dass die Artenvielfalt in diesen fragmentierten Waldstücken innerhalb von 20 Jahren durchschnittlich um 50 Prozent sank.
Mit jeder beantworteten Frage tauchen neue auf, und es bleibt der Eindruck, dass Waldstücke wie dieses oft übersehen werden – dabei haben sie weit mehr Geschichten zu erzählen, als man auf den ersten Blick vermuten würde.