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Studying

Erzählungen des atomaren Widerstands

Seminar
Sommer '19
Leonie Hecker, Marleen van de Valk und Viktoria Vogel

Je größer die Distanz, aus der der Blick auf den atomaren Widerstand im Wendland fällt, desto mehr wirkt er wie eine einheitliche Front. Doch hinter der klaren Opposition verbirgt sich eine komplexe Allianz unterschiedlicher Haltungen und Agenden. Ziel der Arbeit war es, mit entsprechend größerer Differenzierung „die verschiedenen politisch aktiven Gruppierungen innerhalb der Anti-Atom-Bewegung im Wendland zu beschreiben und ihre Zusammenarbeit sichtbar zu machen.“ Besonders in den Blick nehmen die Autorinnen der Arbeit – Leonie Hecker, Marleen van de Valk und Viktoria Vogel – die Bäuerliche Notgemeinschaft, die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg und den Gasthof Meuchefitz. Sie vergleichen diese Gruppen hinsichtlich der Zusammensetzung ihrer Mitglieder, der internen Organisation, der Haltungen und Werte, sowie in Bezug auf mögliche Divergenzen zu anderen Initiativen.

Letztlich erscheinen den Autorinnen „gerade auch die Unterschiede zwischen diesen Gruppen für die politische Kraft der gesamten Widerstandsbewegung zu sorgen.“ Auf diese Weise „ist es für ein breites Bevölkerungsspektrum möglich, sich den Zielen, Praktiken und auch dem ‚Stil‘ oder ‚Habitus‘ einer Gruppe zuzuordnen, die einem jeweils nähersteht, und sich auf diesen Kanälen mit der Bewegung insgesamt zu identifizieren.“

Kernstück der Arbeit sind Interviews, die die Studierenden während des Sommersemesters 2019 mit Greta Weiß vom Tagungshaus Meuchefitz, Jürgen Kastens von der Bäuerlichen Notgemeinschaft, sowie mit Wolfgang Ehmke und Torben Klages von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg geführt haben – wobei das Interview mit Torben Klages hier abgebildet ist.

Interview mit Torben Klages, Büroleiter der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg

Marleen van de Valk:

Inwieweit seid/wart Ihr (BI) in Kontakt mit den anderen Gruppierungen innerhalb des Widerstands? Gab es Konflikte? Was waren die Auslöser für diese?

Torben Klages:

Es gibt Menschen, die die BI als Dach des Widerstandes sehen. Unter uns versammeln sich, bei bestimmten Anlässen, die verschiedenen Gruppen, die im Wendland zum Thema aktiv sind / geworden sind. Die Stärke des Wendlands besteht aber zugleich aus der Vielzahl agierender Gruppen / Menschen, die ihrerseits unterschiedlichsten Aktionen durchgeführt haben. Wir sind nicht das Haus, denn dafür fehlen die Wände. Die Wände wären es, die andere Gruppen in ihren Aktionen, Ausrichtungen einschränken würden und die diese nicht akzeptieren würden. Wir habe zu allen „bekannten“ Gruppen im wendländischen Widerstand Kontakt und tauschen uns mit denen nach Bedarf (Demos, geplante Aktionen, gesellschaftliche Entwicklungen zum Thema) aus. Die Konflikte beschränkten sich entweder auf persönliche Interessen und zwischenmenschliche Auseinandersetzungen, wie sie für nahezu alle Ansammlungen von Menschen in einem sozialen Gefüge gelten oder auf konkrete politische Aktionen, bei denen durch „Diplomatie“ versucht wurde möglichs einen Konsens herzustellen. Die sog. „Gewaltfrage“ spielt dabei, wie bei anderen Bewegungen, natürlich auch eine Rolle. Große Stärke bleibt der Konsens vergangener Aktionen, dass keine Menschen körperlichen Schaden erleiden sollten. So geschehen beim Castor Transport 2011 und dem Wendländischen Aktionsgruppen Treffen (WAGT). Die Kampagne „Atomstaat stilllegen“ sprach sich für die Option von Sabotage Aktionen an „Gegenständen“ aus. Um derartige Aktionen durchzuführen, sprach man sich für ein verdecktes Vorgehen aus, bei dem die Handelnden aus dem Verborgenen agieren würden. Es handelte sich dabei um einen Aufruf, nicht um eine konkrete Gruppe Im gleichen „Bündnis“ saß aber auch die Kampagne „X-tausend mal quer“, die mit einer gewaltfreien Sitzblockade, die vorher angekündigt wurde und deren Organisatoren jederzeit erkennbar und deeskalierend vor Ort agierten, ganz andere Bevölkerungsschichten ansprechen wollte. Kurz gesagt in ihrer Ausrichtung genau entgegengesetzt des Aufrufs „Atomstaat stilllegen“. Es war ein große Leistung durch viele Treffen und „Verhandlungen“ am Ende ein geschlossenes Bild in der Öffentlichkeit abzugeben, ohne Distanzierungen Die Konflikte mussten und müssen auch in der Zukunft immer wieder neu besprochen und ausgeräumt werden. Es ist also kein „Generationenvertrag“ oder Ähnliches. Dennoch fällt es im Wendland mglw. leichter ins Gespräch zu kommen, da es in den vergangenen Jahren bei den Handelnden keine große Fluktuation gab und somit den Menschen die Ausrichtung einer bestimmten Gruppe im Vorfeld zumindest nicht unbekannt ist.

Marleen van de Valk:

Wie funktionierte die Kommunikation mit anderen Gruppierungen?

Torben Klages:

Gut. :D Das variiert natürlich stark und unterliegt der jeweiligen Brisanz/ gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für das Thema. Richtig ist aber, dass natürlich physische Treffen den virtuellen Treffen vorgezogen werden. Eine Kommunikation über soziale Medien (Facebook, Twitter, Telegram) oder Messenger Dienste halte ich hingegen für undenkbar.

Marleen van de Valk:

Gab es Kritik an der Bürgerinitiative ausgehend von anderen Aktivisten? Wie sah diese aus?

Torben Klages:

Die BI versucht ja vielen Menschen eine Plattform zu bieten und durch eine Mitgliedschaft aus wenigen Stimmen eine Menge Stimmen zu machen. Also aus meinem Verständnis versuchen wir möglichst viele Menschen unter unser Dach zu bekommen, um mit ihnen gemeinsam eine größere Relevanz zu entwickeln. Das ist auch sehr gut gelungen. Deshalb auch großen Respekt an die jeweiligen Vorstände, die den „Laden zusammenhalten mussten“. Ich würde uns als bürgerlich beschreiben, dem Namen entsprechend. Durch die unterschiedlichen Vorstände und deren Mitglieder gab es aber auch immer Nuancen in der Auslegung der BI Politik. Je nachdem wurde ein Vorstand schon einmal als zu radikal oder eben zu soft betitelt. Die Kritik kommt dann von den entsprechenden Menschen, die sich einer jeweiligen Auslegung angehörig fühlen. Auch die gegebene Struktur eines Vereins durch „hierarchische“ Verhältnisse mit Ämtern (Vorsitz, Sprecher) etc. ist für viele Aktivist*innen wohl möglich eher unattraktiv. Sehr interessant ist auch der Aspekt, dass natürlich verschieden Gruppen/Menschen versucht haben die BI durch Unterzeichnung eines Aufrufs, zum Beispiel, für ihre Anschauung zu gewinnen, um damit eine Art passiven Einfluss auszuüben. Dort mussten dann auch Vorstände immer wieder Entscheidungen treffen, die Betroffene dann gerne mit Unverständnis quittierten.

Marleen van de Valk:

Was für eine Bedeutung/Stellenwert würdest Du dem Gasthof in der Geschichte des Widerstandes zuschreiben?

Torben Klages:

Ich empfinde die Bedeutung als sehr stark. Entscheidend ist dabei aber, dass sich eben viele Menschen mit der BI identifizieren und auch viele Menschen die BI mitgestaltet haben. Sie ist eine Art Gesamtwerk des Widerstands. Die BI steht aber eben auch nicht über allem. Die Stärke des Wendlands ist eben auch die Diversität der Gruppen und Menschen. Die BI steht in einer Reihe mit Aktionsgruppen, Familie von Bernstorff, Kirche, Bäuerliche Notgemeinschaft, Rechtshilfe Gorleben, Salinas Salzgut GmbH oder aber Greenpeace. Bedeutend bleibt die BI vor allem für ihre kontinuierliche Arbeit und die ständige Ansprechbarkeit.