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Studying

The unchosen character of cohabitation

Seminar
Winter '22/23
Lilian Germer, Ronja Gutermann, Clara Lang, Lilia Spickschen und Mona Trockel
Foto: Huhu Uet, Wikimedia Commons

Die Geschichte der Stadt erscheint als ein Prozess ständiger Umformungen unterschiedlichster Materialien, als Neubau- und Abrissgeschichte, in der jedes Gebäude früher oder später von einem anderen ersetzt wird. Die andauernde Veränderlichkeit der Stadt findet nicht nur auf materieller Ebene statt, sondern spiegelt sich in der Flüchtigkeit ihrer ästhetischen, gesellschafts­politischen und ökonomischen Zuschreibungen wider – es sind eben diese Zuschreibungen, unter deren Vorwand noch funktionstüchtige Gebäude abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden.

Angesichts des Klimanotstands müssen sich Architekt*innen intensiver mit Fragen nach Grauer Energie, Ressourcenknappheit und den gesellschaftlich zu tragenden Folgekosten auseinandersetzen. Dazu gehört auch ein Überdenken der Beziehungsweisen, in denen (gebaute) Umwelt wahrgenommen, sich ihr gegenüber verhalten und auf sie gestaltenden Einfluss ausgeübt wird.

Wir sind mit Gebäuden konfrontiert, mit denen wir uns nicht ausgesucht haben, zu koexistieren. Sie mögen uns hässlich, fragwürdig, unwirtschaftlich vorkommen. Im Kontext der Nachhaltigkeitsdebatten sollten wir ein differenziertes, empathisches Gegenübertreten in Erwägung ziehen, ihnen eine Daseinsberechtigung zusprechen, sie in anders möglichen Zuständen, Gegenwarten und Zukünften imaginieren.

Im Rahmen des Seminars haben sich die Studierenden jeweils ein Gebäude herausgesucht, dem sie mit Ablehnung gegenüberstehen, sei es aufgrund ästhetischer, gesellschaftspolitischer, ökonomischer, ökologischer oder sonstiger Gründe. In der Auseinandersetzung mit ihnen sollten die verschiedenen Bedeutungsebenen, Gewohnheiten, Erwartungen, Annahmen und Wertvorstellungen hinterfragt und auf ihre Einflüsse geprüft werden. Über das Re-Präsentieren, das Erneut- oder Anders-Darstellen des Gebäudes sollte ein Prozess der Reflektion angestoßen werden und die Herkunft der ablehnenden Haltung hinterfragt werden. Die Gebäude sollten im Laufe des Semesters auf ihre materielle Substanz und immaterielle Zuschreibungen untersucht werden, wobei unter anderem die technische Lebensdauer ihrer Bauteile, der Gehalt der in ihnen enthaltener Grauer Energie und anders denkbare Zustände, Gegenwarten und Zukünfte Berücksichtigung finden sollen.

Karstadt Osterstraße, Hamburg

Der Karstadt in Eimsbüttel wurde am 31. August 1951 eröffnet an der Ecke Osterstraße/Heußweg. Damaliges Highlight des Gebäudes war die Rolltreppe, welche vom Erdgeschoss zum Obergeschoss führte. Zum Zeitpunkt der Eröffnung war die Gesamtverkaufsfläche lediglich 2.400 m² groß. Seit der Eröffnung wurde das Gebäude innen und außen immer wieder umgebaut, um die Verkaufsfläche zu erweitern. Ein größerer Umbau wurde in den 1970er Jahren für das Warenhaus aus funktioneller Sicht nötig. Ohne Parkhaus mangelte es an Parkraum für den Individualverkehr, welcher zu dieser Zeit stark zunahm. Zusätzlich stand eine bessere Anbindung an die Mitte der 60er Jahre umgebaute U-Bahn-Station Osterstraße seitens der Kaufhausleitung ganz oben auf der Liste.

Ein Neubau wurde direkt von der Karstadt-Hauptverwaltung beantragt, worauf das alte Gebäude 1975 zuerst zur Hälfte abgerissen wurde, um den Betrieb weiter führen zu können. Ziel war ein Neubau mit großem Parkdeck auf dem Dach und über drei Etagen. Bei der Fassadengestaltung entschieden sich die Architekten für kantig abgeschrägte Fertigbetonteile. Der Entwurf wurde den Anwohnern in der Broschüre ‚700 Jahre Eimsbüttel‘ 1975 mit dem Spruch „Karstadt Eimsbüttel – bald: größer schöner, moderner“ angekündigt. In der BILD wurde es 1976 nach der Eröffnung des ersten neuen Gebäudeteils als „außen sachlich, innen freundlich“ beschrieben.

In den 70ern wurde das bunkerähnliche Gebäude stark diskutiert. Der Kerngebietsausschuss der Bezirksversammlung Eimsbüttel wurde schon 1977 von der Bevölkerung angesprochen auf den dunklen und verschlossenen Charakter der Fassade und den Wunsch, über eine Auflockerung der Fassade nachzudenken. Den Bitten wurde kein Gehör geschenkt und die zweite Hälfte 1978 in Betrieb genommen. Die Gesamtbaukosten betrugen 35 Millionen deutsche Mark. Das neue Gebäude war nun 8.500 m² groß und beinhaltete durchgängige Verkaufsetagen. Das Parkdeck wurde ebenfalls umgesetzt. Das Highlight war nun die Möglichkeit, von der U-Bahn-Station direkt in das Gebäude gehen zu können.
Im Jahr 2007 wurde ein Beachclub auf dem Dach geplant, welcher statisch nicht umsetzbar war. Ein weiterer Umbau fand 2011 statt und die Gesamtfläche wurde auf 10.000 m² erweitert.
Die Fassade wurde nie umgestaltet, genauso wie die Uhr, welche seit 1978 in Betrieb ist. Denkmalschutz wurde beantragt.

Der Karstadt an der Osterstraße scheint fast die offensichtliche Wahl für eine Hamburgerin in diesem Seminar zu sein. Jeder kennt es und fast jeder hat aus dem einen oder anderen Grund eine Abneigung dagegen. Ich persönlich kenne das Gebäude schon seitdem ich klein bin und erinnere mich an Momente in meiner Kindheit, in denen es mir fast schon angsteinflößend erschien. Das große Volumen des Gebäudes verbunden mit der schweren und verschlossenen Fassade hatten immer eher eine erdrückende Wirkung auf mich. Insbesondere in Anbetracht dessen, dass sich drumherum hauptsächlich Altbauten und Wohnungsbau befinden.

Ziel des Karstadt Neubaus in den 50er Jahren war es wohl, ein Zentrum für das Quartier zu schaffen, da die Bürger Eimsbüttel immer verlassen mussten, um größere Besorgungen zu machen. Der Gedanke dahinter scheint logisch, denn wenn die Menschen ihr Viertel nicht mehr zum Einkaufen verlassen müssen, gibt es auch dem Einzelhandel die Chance die Lücken zu füllen, die das Kaufhaus nicht bedient. Auch heute stellt die Ecke Osterstraße/Heußweg noch das Zentrum von Eimsbüttel dar. Dort sammeln sich Einzelhandel, Supermärkte, Drogerien, sowie die U-Bahn-Station, welche einen nach Eimsbüttel führt. Doch der Karstadt wirkt irgendwie fehl am Platz. Als größtes Gebäude sollte es einen zum Verweilen einladen, doch hat eher die gegensätzliche Wirkung, da die Fassade gerade bei dem typischen Hamburger Regenwetter düster und dreckig wirkt.
Kaum Personen scheinen das Gebäude zu betreten und wenn sie es doch tun, verschwinden sie meist direkt im Untergeschoss, um zu Aldi zu gehen. Es ist also kein Wunder, dass die Anwohner sich seit Jahren negativ über das Gebäude äußern. Weiterhin haben viele Angst davor, was mit der Fläche passieren wird, sobald Karstadt das Geschäft aufgeben wird, was in nicht allzu ferner Zukunft unvermeidlich sein wird.

Im Rahmen des Seminars habe ich mir dann die Frage gestellt, inwiefern man den Blick auf dieses Gebäude ändern kann. Kann man die eigenen Bewertungskriterien ändern? Dafür müsste man das Gebäude weiter erforschen und verstehen, also habe ich geschaut, welche Parameter die heutige Gestalt des Gebäudes beeinflusst haben, z. B. Baurecht, Architekten, Materialien, Grundstück, Boden, technische Möglichkeiten, Finanzierung, Praktiken der Zeit, Mode, etc.
Nachdem ich also weitere Nachforschungen angestellt habe, habe ich vor Allem die Qualitäten des Innenraums verstanden. Diese werden oft übersehen, da hauptsächlich über das äußere Erscheinungsbild geurteilt wird, wie ich es anfangs ebenfalls getan habe. Diese Urteile und Meinungen werden einem auch oft von außen auferlegt, da viele mit der Meinung aufgewachsen sind, die sich z. B. ihre Eltern in den 70er Jahren gebildet haben.
Diese haben sich dann auf uns übertragen und lassen uns das Gebäude von Anfang an wie durch einen Filter betrachten. Unsere Aufgabe ist es nun diesen Filter abzulegen. Zum einen geschieht dies durch Recherche und Weiterbildung basierend auf den oben genannten Parametern. Zum anderen benötigt es überhaupt die Bereitschaft der Gesellschaft, sich tiefer mit dem Gebäude auseinanderzusetzen und die eigene Meinung zu hinterfragen.
Nach der Auseinandersetzung mit dem Gebäude mit Hilfe verschiedener Texte und Diskussionsrunden kann ich vieles besser nachvollziehen. Ich verstehe, dass es notwendig war, die Fläche zu erweitern und zu modernisieren, mit dem Ziel das Viertel zu bereichern. Dass solche großen Kaufhäuser mit riesigen Parkdecks vor allem außerhalb des Stadtzentrums nicht mehr zeitgemäß sind, ist nicht die Schuld des Gebäudes. Zeiten ändern sich und mit ihr die Bedürfnisse unserer Gesellschaft.
Es ist nun unsere Aufgabe, nicht nur über die negativen Aspekte zu sprechen, sondern sich aktiv damit auseinanderzusetzen, wie man das Gebäude am besten in unsere Zeit überführen kann.

Wie kann das Potential dieser riesigen Fläche genutzt werden, um wieder attraktiv zu werden? Meiner Meinung nach ist es wichtig, die aktuelle Nutzung und das äußere Erscheinungsbild vom Gebäude zu trennen und sich auf zukünftige Nutzungen zu konzentrieren. Die Fläche bietet die Möglichkeit, Boutiquen, Galerien, Cafés, Flächen für Konzerte und vieles mehr dort unterzubringen. Somit könnte dies die Chance sein, den Einzelhandel und Künstler aus der Umgebung zu fördern, was gerade nach den letzten Jahren sehr wichtig ist. Weiterhin könnte es dem Gebäude als Quartierszentrum und dem Viertel allgemein neue Aufenthaltsqualitäten verleihen.
Meine eigene Sicht auf das Gebäude hat sich nach der genaueren Auseinandersetzung definitiv geändert und mich dazu angeregt, vorschnelle Urteile über Gebäude zu vermeiden. Der Karstadt an der Osterstraße wird trotzdem nicht zu meinen Lieblingsgebäuden gehören, dennoch trete ich ihm nun wohlwollend entgegen und werde es dabei unterstützen, einem Abriss zu entgehen, als ein Stück Geschichte Eimsbüttels angesehen und gepflegt zu werden.

In der Re-Repräsentation meines Projektes wollte ich mich damit beschäftigen, den von der Gesellschaft auferlegten Filter zu entfernen und der Außenwelt das Potential des Innenraums zu zeigen. Dies ist aufgrund der geschlossenen Fassade und den vollgestellten Verkaufsflächen recht schwierig zu erkennen. Daher habe ich das Gebäude basierend auf den Fluchtplänen nachgebaut, den Innenraum von seiner jetzigen Nutzung getrennt und somit Raum für Interpretationsfreiheit gelassen. Der Innenraum ist rot dargestellt, um zu zeigen, dass man erst den (roten) Filter entfernen muss, umsehen zu können, was sich hinter diesem verbirgt. Dadurch möchte ich das Karstadt Gebäude offen und verständlich für alle machen, damit sich eine neue Generation auch eine neue Meinung bilden kann. Inspiriert wurde dies von Rätselbüchern meiner Kindheit. Dort wurden Informationen sichtbar oder unsichtbar, je nachdem wie man eine rote Folie darauf positionierte, da rote Linien unter der roten Folie unsichtbar wurden. Andersherum wurden rote Linien sichtbar, sobald man den roten Filter entfernte.

Lilian Germer

City Gate, Bremen

Das City Gate wurden 2016-2019 auf einem 5.500 m² großen Grundstück am Bahnhofsvorplatz in Bremen gebaut. Die Stadt wollte gegenüber vom Bahnhof ein ‚neues Tor zur Stadt‘ errichten. Das Projekt, durch das Max Dudler das Wettbewerbsverfahren für sich entscheiden konnte, ist für viele Besucher das Erste, was sie sehen, wenn sie in Bremen ankommen.
2012 wurde das Grundstück für 5,9 Mio. Euro an einen Investor verkauft. Doch erst 2016 wurde mit dem Bau begonnen. Der Bau stockte zunächst, da die Baugrube einzusacken drohte. Dies führte dazu, dass ein Straßenbahngleis geschlossen werden musste und die vorbeiführende Hochstraße an einigen Stellen absackte. Der Kostenrahmen von 100 Mio. Euro konnte jedoch eingehalten werden.

2019 wurde das Gebäude dann eröffnet. Das Gebäude sitzt auf einem ehemaligen Aufenthaltsort und Skatepark, wodurch es von Anfang an sehr umstritten war und immer noch ist. In Teilen der Bevölkerung wurde in Frage gestellt, inwiefern es notwendig war, den Platz vollständig zu versiegeln und den Blick auf den Bahnhof zu verbauen. Die Aufenthaltsqualität ist verloren gegangen. Darüber hinaus hat das Gebäude mit Leerstand zu kämpfen. Nach der langen Bauphase sind einige Mieter abgesprungen, und die eigentlich der Öffentlichkeit zugewandten Schaufenster sind zum Teil blickdicht verklebt.

Die Nutzungen des City Gates sind verschieden: Es beinhaltet ein Hotel, verschiedene Einkaufsmöglichkeiten, Büroräume, Parkmöglichkeiten und Praxen. Das Gebäude setzt sich jedoch wenig mit den Bedingungen vor Ort auseinander. So ermöglicht die Schneise zwischen den Gebäuden zwar einen Blick von der vorbeiführenden Hochstraße auf den Bahnhof, die Passanten jedoch lädt der Durchgang wenig zum Verweilen ein. Das City Gate wird zum massiven Tor, was zwar die Intention des Architekten war, dem Besucher vor Ort aber kaum Mehrwert bietet. Das ‚Tor zur Stadt‘ wirkt wenig einladen und wird den verschiedenen Anforderungen vor Ort nicht gerecht, obwohl es durchaus das Potenzial dazu hat.

Ich habe mich also für dieses Gebäude in erster Linie aufgrund meiner Abneigung gegenüber dem Entwurf und der Funktion entschieden. Nach kurzer Recherche wurde mir bewusst, wie viel Potenzial hier nicht genutzt wurde. Insgesamt bin ich enttäuscht, dass die repräsentative Wirkung eines Gebäudes von einem renommierten Architekten wichtiger zu sein scheint, als auf die Bedürfnisse vor Ort einzugehen. Insgesamt frage ich mich, ob ‚das Tor zur Stadt‘ wirklich ein so einseitiges Bild vermitteln sollte und ob man nicht die Chance hätte nutzen sollen, das Facettenreichtum von Bremen darzustellen.

Ronja Gutermann

Ring Center, Braunschweig

Das 19-geschossige und 62 m hohe Ring Center liegt am Berliner Platz 1C-1D in der direkten Nähe zum Braunschweiger Hauptbahnhof. Der stufenartige Entwurf stammt von dem Architekten Horst-Wilhelm Reckewell aus Salzgitter. Der Baubeginn des Stahlskelettbaus in Fertigteilbauweise war 1973, der erste Abschnitt konnte im Oktober 1974 bezogen werden. Das 20-Millionen-DM-Projekt wurde von einem Investor finanziert und die Wohnungen an privat verkauft, die Gewerbeeinheiten vermietet. Verwaltet wird das Gebäude von der VOW-Gruppe. Städtebaulich schließt das Gebäude im Westen den Bahnhofsvorplatz ab. Es vereint auf 25.000 m² 165 Eigentumswohnungen, 35 Büro- und Gewerbeeinheiten, sowie Dienstleister in einem Einkaufszentrum mit dazugehörigem Parkhaus. Dabei gibt es 10 verschiedene Wohntypologien, von 25 m² großen Einzimmerwohnungen bis zu 105 m² großen Vier-Zimmer-Apartments.

Im Laufe des Semesters habe ich dazu entschieden, mich mit dem Ring Center in Braunschweig näher auseinanderzusetzen. Das Gebäude sehe ich immer nur aus der Ferne, vom Vorplatz des Hauptbahnhofs aus. Die Aspekte, die ich an diesem Gebäude besonders störend finde, sind zum einen der Maßstab rund um den Bahnhof und die allgemeine Planung der autogerechten Stadt in den 1960er und 70er Jahren. Die städtebauliche Setzung des Ring Centers rahmt mir den Bahnhofsvorplatz nicht genug ein, der Platz verliert sich in mehrspurigen Straßen und Ampelkreuzungen. Die Kritik an dem Gebäude umfasst weitergehend das Gebäudevolumen, dass durch seine massive Sockelzone und den verwinkelten Raumkanten keine klare Linie schafft. Die gleichförmigen Fensterbänder der Wohnblöcke unterstreicht das massive und gleichförmige Auftreten des Gebäudes. Die Fassade ist 50 Jahre alt und stark renovierungsbedürftig, sowohl optisch als auch klimatisch. Genauso wie die Erdgeschosszone, aus der das Einkaufszentrum nur noch besteht. Die Einkaufsmöglichkeiten umfassen lediglich wenige Geschäfte des alltäglichen Bedarfs, viel Fläche wurde zu Lagerfläche umgewidmet. Das Gebäude wirkt verschlossen und aus der Zeit gefallen. Leider konnten mir über die Wohnungseigentümervertretung keine Gebäudezeichnungen zur Verfügung gestellt werden. Die wenigen Wohnungsgrundrisse, die ich während meiner Recherche im Internet gefunden haben, finde ich überkommen und auch für die damalige Zeit wegen der einseitigen Beleuchtung nach Osten oder Westen weder raffiniert oder modern.

In meiner Nachforschung zum Ring Center habe ich mich vor allem mit der Zeit beschäftigt, in der das Gebäude gebaut wurde. Denn Architekten, ihre Entwürfe und Bauwerke, stehen immer in enger Wechselwirkung zur Gesellschaft und der Zeit, in der sie verordnet sind. Und das Ring Center steht nicht allein in der Kritik. Die Bauten der Nachkriegsmoderne prägen das Bild der Städte, vor allem in einer so stark vom Krieg zerstörten wie Braunschweig. Die Gründung und Entwicklung der Bundesrepublik nach den zwei Weltkriegen verlangte nach Neuorientierung und Moderne. Das Wirtschaftswunder in den 1950 Jahren und der Wiederaufbau ermöglichten die Umsetzung von lang geplanten Großprojekten, wie den Durchgangsbahnhof in Braunschweig. Zugleich wurde im Zuge des Wiederaufbaus auch in großem Umfang historische Gebäude abgerissen. Für Braunschweig bildete der Abriss des Residenzschlosses 1960 den Höhepunkt dieser städtebaulichen Radikalkur.

Die Idee des Großprojektes ‚Braunschweiger Durchgangsbahnhof‘ gab es schon seit den 1930er Jahren, wurde jedoch erst nach Kriegsende 1960 umgesetzt und bildete mit seinem Ideal der gegliederten und aufgelockerten, dem Verkehr angepassten Stadt das zukunftsorientierte Gegenbild von der vom Krieg zerstörten Generation. Die Anbindung des neuen Bahnhofs an das entfernt gelegene Stadtzentrum hatte eine umfassende Neuplanung der Kurt-Schumacher-Straße und des John-F.-Kennedy-Platzes zur Folge. Für die neuen Straßenschneise Neue Achse City – Hauptbahnhof wurden ganze Wohnblöcke des gründerzeitlichen Stadtviertels abgerissen. Die moderne Wegeführung Richtung Innenstadt wurde durch das Atriumhotel, den Punkthochhäuser und der höhergelegten ‚Atrium-Bummel-Passage‘ 1970 nach Entwürfen des Braunschweiger Architekturbüros Prof. Kraemer-Pfennig-Sieverts (KSP) als Gegenspieler zum Hauptbahnhof vervollständigt. Das Areal wurde als Idealmodell der autogerechten Stadt mit Trennung von Verkehr und Fußgängern auf verschiedenen Funktionsebenen geplant. Den Bahnhofsvorplatz und das Ensembleplateau verbanden eine Fußgängerbrücke über den Berliner Platz hinweg.

Dieser Aufbruchs- und Modernisierungswunsch der 60er und 70er Jahre können auch deutlich in den im Stadtarchiv zusammengefassten Artikeln und Werbeanzeigen über den Berliner Platz gelesen werden. Das Ring Center sollte als moderne ‚Stadt in der Stadt‘ als Wohn-, Arbeits-, Geschäfts- und Parkhaus dienen und als Nachahmung von erfolgreichen Projekten aus größeren Metropolen dieses Gefühl in das neue Braunschweig holen. „Braunschweigs modernstes Stadtviertel soll eine neue Silhouette, der Berliner Platz soll auch im Süden einen städtebaulichen Kontrapunkt erhalten.“ (B.Z. 25.10.1969)
Die Entwurfsidee des Projektes war es, das Erdgeschoss umlaufend mit Schaufensterfronten zu umsäumt, die darüberliegenden Geschosse als geschlossene Verkaufsflächen in Anlehnung an Baustil des Atrium Hotels und des Hauptbahnhofs auszubilden und die emporragenden drei Hochhäuser durch ihre Abstufungen in der Vertikalen eine gelöste und lockere Form zu geben.

Doch es tun sich Unterschiede zwischen den Zielen des Investors und der Realität auf. Viele Angaben variieren zwischen der Planung/Vermarktung (bekannt aus Anzeigen in der Zeitung) und der finalen Umsetzung. Zum Beispiel sind die Quadratmeter in Büro- und Verkaufsfläche und Parkplatzanzahl verschieden. Während in der Braunschweiger Zeitung am 09.12.1973 mit 600 Stellplätzen geworben wurde, realisierte man 300 Plätze. Dies könnte auch daran liegen, dass die Anzeige geschaltet wurde, als noch 134 Wohnungen zu verkaufen und viele Ladenflächen zu vermieten waren. Auch das Schwimmbad, die Sauna oder das Kino wurden nie umgesetzt. Außerdem wurden im Gegensatz zu Planungszeiten auch die Nutzung der Dachflächen als Dachgarten und der umliegenden angedachten „Rasen- und Grünflächen mit einladenden Sitzbänken [für die] äußere Harmonie“ (B.Z. 09.02.1973) nicht realisiert.
Doch auch typisch für die Zeit, mussten schon 20 Jahren nach Fertigstellung sowohl der Stahlskelettbau des Centers (1995), als auch des Parkhauses (1998) ertüchtigt werden.

Dass das „modernste Stadtviertel Braunschweigs“ so nicht funktioniert, wurde schnell bewusst. Die Fußgängerbrücke über den Berliner Platz war die meiste Zeit funktionsuntüchtig oder die Menschen benutzten sie nicht. 1991 hieß die Schlagzeile in der Braunschweiger Zeitung „Fußgängerbrücke seit neun Jahren verwaist“ (B.Z. 24.07.1991). Der Abriss war die Folge. Städtebaulich war man jedoch nicht zufrieden, da ohne die Brücke die wegweisende Geste Richtung Innenstadt fehle. An der Situation wurde jedoch nichts geändert. Bis heute verblieb der Bahnhofsvorplatz in dieser Situation, lediglich die Tramführung und Bussteige wurden verlegt. 2019 gab es einen neuen Ideenwettbewerb, der bis 2030 umgesetzt werden soll. Der Siegerentwurf sieht eine starke Nachverdichtung des Bahnhofumfeldes vor, um die Weitläufigkeit der autogerechten Stadt entgegenzuwirken. In der Folge wird das Ringcenter nicht mehr in erster Reihe, sondern abgetrennt seiner Zeitgenossen stehen.

Während der Recherche verstand ich den Entwurfsgedanken im historischen Kontext hinter dem Gebäude besser. Um das Ring Center neu zu interpretieren, wollte ich die architektonische Idee des Entwurfs herausarbeiten und eine neue Darstellungsweise finden. Über Fotos des Gebäudes baute ich die Fassade nach und betrachtete die dafür geschossenen Fotos sehr genau. Mich überraschte, dass die mir zuvor so repetitiv vorgekommene Fassade viele kleine Unterschiede aufweist. Dahingehend passte ich das 3D-Modell diesen kleinen Verschiebungen an und generierte Ansichten im Maßstab 1:200 und einen Ansichtsausschnitt im Maßstab 1:50, in dem ich diese Unregelmäßigkeiten besonders provozierte und ihnen persönlichen Geschichten zuschrieb.
Das erste unregelmäßige Fenster führte zur weiteren Beobachtung der kleinen Verschiedenheiten in der Anordnung und Farbigkeit der Fensterrahmen. Dann nahm ich die unterschiedlichen Vorhänge, Pflanzen und Fensterdekorationen wahr, die mich von der Idee der leblosen Fassade auf das Leben hinter der Fassade brachte. Durch die eingehende Beschäftigung mit den Fotos fiel mir auf, wie klar und besser lesbar die Gebäudekanten in den von mir erstellten Zeichnungen sind, die dem Ring Center durch seine Alterserscheinungen verlorengegangen sind. Ich fing an, Fotos des Gebäudes zu bearbeiten, eine ‚Betonsanierung‘ durch-zuführen, alte und verfärbte Fenster ‚auszutauschen‘, den Boden neu zu ‚pflastern‘. Dort angekommen ‚entfernte‘ ich die Werbung an der Sockelzone, um den Ausdruck des Centers zu stärken. Meine Absicht war es, die lange überfällige Sanierung des Gebäudes abzubilden und zu versuchen, das Erscheinungsbild eines Neubaus zu erschaffen. Damit wollte ich prüfen, ob dies die Akzeptanz der Betrachter dem Gebäude gegenüber erhöhen würde.
Ab welchem Punkt wird das Gebäude vielleicht mit fehlenden Alters- oder Lebensspuren unpersönlich? Wie viel Pflege ist notwendig, ab wann wirkt ein Gebäude überpflegt? Wird durch das Angleichen der Fenster eine nicht existierende Perfektion angestrebt, oder verleiht dieser Eingriff dem Gebäude mehr Ausdruck?

Clara Lang

New-Yorker-Filiale, Braunschweig

Die Herbstsonne neigt sich allmählich über die Dächer windschiefer Gebäude und taucht die Stadt in ein orangenes Licht. Mein Weg treibt mich tiefer in die verwinkelten Gassen hinein, mein Blick wird von Fachwerk und goldenen Schriftzügen angezogen. Krähen beginnen ihre tägliche Abendschule und steigen als schwarze, kreischende Masse in den mittlerweile dunkelblauen Himmel empor. Wieder einmal zieht mich das romantische Kleinstadtambiente Braunschweigs in seinen Bann. So laufe ich immer weiter, ohne wirkliches Ziel, lasse mich treiben von schlendernden Menschen und Betrunkenen, Straßenmusikern und spielenden Kindern.

Nach einer Kurve ändert sich plötzlich das Bild. Das warme Licht wird kalt, dunkles Glas und schwarzer Stahl löst die Steinfassaden ab. Ich hebe meinen Kopf, um herauszufinden, was es ist, dass die Stimmung so stört. Ein Gebäude er-strahlt in weiß rotem Licht. Ein gigantischer Schriftzug. Eine riesige Werbetafel. Ich muss meinen Blick abwenden, um meine Augen an das grelle Licht zu gewöhnen. Eine New-Yorker-Filiale erstreckt sich vor mir wie ein Schiff. Sie zerreißt die Stimmung mit einem Schlag. Eine Mischung aus Unruhe und Verärgerung macht sich in mir breit. Warum hier? Warum muss es so etwas in Braunschweig geben? Wieviel Strom verbraucht dieses Ding? Kurz fühle ich mich schlecht dafür, dass ich so eine schlagartige Abneigung empfinde. Am liebsten würde ich das Gebäude nehmen und zurück nach New York an den Time Square ziehen, dahin wo es niemandem auffällt.
Aber sollte ich nicht viel eher versuchen mich damit abzufinden, dass es dieses Gebäude gibt?

Die Filiale befindet sich in Braunschweig an der Schuhstraße 27, an einer Ecksituation, die als zentraler Ort in der Braunschweiger Innenstadt gilt und schon immer wichtig war. Das Gebäude lässt sich als Flaggschiff mit schwarz und roten Hochglanz- und Glasflächen beschreiben. Die Fassadenkonstruktion aus maßangefertigten Pfostenriegeln in Rautenform, hängt vor der Bestandsfassade. Grundsätzlich wirkt die Fassade erst einmal filigran, jedoch ist das Glas nicht ganz transparent, da es verdunkelt ist und spiegelt. Dies erzeugt einen Eindruck von Massivität und Verschlossenheit. Über dem an der Ecke befindlichen Haupteingang, prangt ein großer New-Yorker-Schriftzug in Rot, sowie eine große Reklametafel, die die Stadt in der Umgebung in kaltes Licht taucht. Es heißt, dass die strukturell gegliederten Glasfronten die Bestandsgebäude spiegeln, wodurch sich das Gebäude in die Umgebung eingliedern würde, jedoch wirkt es auf mich so, als würde sich das Gebäude gar nicht einfügen.

Die New Yorker Filiale existiert erst seit 2006. Bis dahin hat die Ecksituation tatsächlich eine sehr interessante Geschichte als Dreh- und Angelpunkt des Braunschweiger Konsums. 1889-1938 befand sich hier das erfolgreiche jüdische Kaufhaus Adolf Frank, das jedoch während der NS-Zeit zwangsenteignet wurde. Es entstand durch die ‚Arisierung‘ das Kaufhaus Stöber, welches bis 1960 bestand. Während des 2. Weltkrieges wurde das Gebäude weitestgehend zerstört, jedoch anschließend wieder aufgebaut. Bis 2006 gab es hier noch einen ‚Bilka‘ (1960-1975), ein ‚Hertie‘ (1975-1987) sowie einen ‚Kimmich‘ (1987-2006). Bei jedem Besitzerwechsel wurde das Gebäude zwar umgebaut und umgestaltet, blieb jedoch in der Grundsubstanz gleich.
Bei der New Yorker-Filiale erfolgte ein 13.000.000 € schwerer Umbau. Das Geschäft verfügt nun über insgesamt 3000 m² Verkaufsfläche. Die Grundrisse ähneln sich dennoch und das Baufeld hat sich kaum merklich über die Jahre vergrößert.
Ich frage mich, warum das Gebäude über die Jahre immer neutral und offen gegenüber Umnutzung geblieben ist, dies durch den New-Yorker-Umbau jedoch fast komplett zerstört wurde. Die Fassadengestaltung ist sehr charakteristisch für die Modekette. Aber heißt das wirklich, dass das Gebäude nicht offen gegenüber Umnutzung sein kann? Wie würde es Aussehen, wenn man die Qualitäten des Gebäudes nutzen würde?

In einem Architekturforum wurde angeregt über die Filiale diskutiert und es macht sich ein eindeutiges Bild breit: Ein „Plunderladen“ mit einer der „geschlossensten Fassaden in Braunschweig“ und unglaublich „nerviger Werbevideowand“. Von „8-22Uhr möchte ich da nicht wohnen“ neben dem Gebäude, das so „deplaziert“ und wie ein „UFO“ wirkt. Außerdem schreie nichts mehr nach Energiesparen. Zum Abschluss: „Eine Schande.“

Trotz der sehr negativen Aussagen meiner selbst und Anderer frage ich mich, was eigentlich die Qualitäten des Gebäudes sind. An sich hat das Gebäude eine super Lage. Man kreuzt den Ort fast immer, wenn man durch die Innenstadt läuft. Es ist außerdem ein schöner Platz, der unter anderen Umständen zum Verweilen einladen würde. Dieses Potenzial wird aktuell nicht genutzt. Außerdem hat die Filiale komplett verglaste Fassadenflächen, die momentan in den oberen Stockwerken zum Inneren hin geschlossen sind und somit keinerlei Mehrwert haben. Dennoch geben die Glasflächen einen großen Spielraum im Thema Umnutzung. Durch die große Verkaufsfläche in jedem der vier Stockwerke, wird dieser Spielraum noch vergrößert. Die Ecklage hat nicht nur in der Erdgeschossnutzung großes Potential, sondern auch in den oberen Stockwerken.

Was habe ich mir eigentlich dabei gedacht, ab der ersten Begegnung mit dem Gebäude derartigen Abneigungsgefühlen zu verfallen? Ich merke, je mehr ich mich mit all dem auseinandersetze, dass das Gebäude eigentlich nur ästhetisch abstoßend auf mich wirkt. Bei näherem Betrachten der Grundrisse, wird beispielsweise die alte Bausubstanz deutlich und die Flexibilität, die damit einhergeht. Es ist, wie ich finde sehr kurzsichtig nur auf Äußerlichkeiten Wert zu legen. Bei Menschen fällt einem das doch auch leicht, warum dann nicht auch bei Gebäuden?

Wir sind ständig von Gebäuden umgeben, alltäglich beeinflussen sie uns. Ich möchte diese Beeinflussung bewusster wahrnehmen um mir klarer darüber zu werden, was mich genau stört, wenn mich etwas stört. So weiß ich, dass mir das Kleid der New Yorker-Filiale nicht gefällt, während das Innere sowie das Mögliche mich absolut zufrieden stimmt. Doch Kleider kann man wechseln, man kann sie verändern, so wie es während des letzten Jahrhunderts bei genau diesem Gebäude unentwegt getan wurde. Ich möchte diese Erkenntnis nutzen, um genau da anzusetzen. Wie könnte ich das Kleid durch minimale Eingriffe so verändern, dass es mir zuspricht? Geht es um die Nutzung oder um leichte Veränderung in der Farbgebung? Oder doch nur um die riesige Reklametafel? Wie nehmen andere das Gebäude wahr? Hab vielleicht nur ich ein Problem damit?
Allmählich wird mir klar, dass ich es gar nicht so genau sagen kann und mir mein Leben wieder einmal mit vorschnellen Entscheidungen und mangelnder Reflexion zu leicht gemacht habe. Es ist so einfach zu sagen, dass einem etwas nicht gefällt und man es gerne ersetzen würde. Dieser Umgang ist aber in keinerlei Hinsicht nachhaltig und sollte so schnell wie möglich verändert werden.
Insgesamt bin ich durch Recherche und intensive Auseinandersetzung mit mir selbst zu dem Schluss gekommen, dass das New-Yorker-Gebäude eigentlich mehr Potential als Baustellen hat. Ich möchte dies beweisen, mir selbst und allen anderen, die vielleicht dieselben Abneigungsgefühle wie ich hegen, damit aus solchen oberflächlichen Beweggründen kein Gebäude abgerissen werden muss.

Lilia Spickschen

Hochhaus und Gelände der Landessparkasse auf Okerinsel, Braunschweig

hoch, flach, weitläufig, geordnet, halböffentlich, kühl, braun, rot, Metall, Glas, Arbeit, Geld, menschenleer, klare Führung, Geschichte

durch Verkehr, Autos, Lautstärke und ruhig fließende Oker getrennt von

Park, Kultur, Menschen, Scherben, Restaurants, Café, Döner, Bäckerei, Wohnen, Ärzte, Bar, Club, Stadt,

Kleinteiligkeit, Dichte, Diversität, Ruhe

Meine Ablehnung der Sparkassen-Insel gegenüber basierte schon immer eher auf der Privatheit und der einseitigen Nutzung dieses toll gelegenen und geschichtsträchtigen Teils der Braunschweiger Innenstadt. Der Besitz durch die Bank machen aus dieser wichtigen Achse zwischen Innenstadt und Bürgerpark eine Durchgangszone, wo das lebendige Treiben der Meile und der des Friedrich-Wilhelm-Platzes ein abruptes Ende findet. Gleichzeitig wurde mit der Niederlassung der Sparkasse seit den 60ern auch der Verkehr komplett um das Grundstück gelegt, was zur Architektur und dem wirtschaftlichen Ethos der Bank passt – ein fortschrittlicher, wachstumsorientierter, fokussierter, sauberer Ort, von Mobilität umgeben, der Braunschweig stets vorantreibt. Die städtebauliche Überlegung der Nachkriegszeit wird hier deutlich, die Säuberung des zerbombten Bahnhofs durch klare voneinander abgerückte Volumen, deren Zwischenraum als Kundenparkplatz genutzt wird und durch streng angelegten Grünraum wiederum sauber aber leider unnutzbar wird. Das Leben außerhalb der Arbeit findet hier keinen Platz.

Die Architektur des 14-stöckigen Hochhauses, die auch aus der Ferne in Braunschweig immer wieder zu beobachten ist und durch seine Höhe (vierthöchstes Gebäude in Braunschweig) sehr stark im Kontrast zu den meist drei bis vier Stockwerken auffällt, kam mir immer sehr unpassend und plakativ vor. Ein Hochpunkt der als Geste, als Einleitung in die Stadt gedacht ist oder vielleicht eher als Werbefläche für die Eigentümer.

Durch die Anregung Jane Benetts, Dinge durch Vermenschlichung auf Augenhöhe zu betrachten, kann ich den Turm in ambitionierter, hoher Stimme rufen hören. Irgendwas über die Oker, den Bürgerpark, den er von dort aus sieht und mich motiviert, ihm gleich zu tun. Über die ganzen Menschen, die sich in ihm bewegen, sodass es ihn immer wieder kitzelt und er müde auflacht. Darüber, dass er diese Menschen nur in sich spürt und gar nicht weiß, wie sie aussehen, weil sie mit dem Auto unter der streng angelegten Begrünung zwischen seinen Geschwistern ankommen und durch seine Füße in ihn gelangen.

Vor ihm stehend lächelt er mir anerkennend zu und dankt mir, dass ich mir die Zeit nehme ihn, die Oker, seine deutlich gedrungeneren Verwandten für einen Moment zu beleben und gemeinsam mit ihm zu beobachten.

Ich glaube, er möchte Teil der Stadt und seiner Bewohnenden sein und nicht in diesem Raster von durchdeklinierter Ordnung gefangen sein. Er sieht das Leben direkt vor sich, aber fragt sich, wieso er nicht Teil dessen sein kann? Ich glaube, ihm ist ein wenig kalt, so ganz alleine stehend. Er gefällt mir schon deutlich besser, ein freundlicher Turm gefangen in seinem Eigentümer.

Da meine Abneigung wohl eher der Einrichtung gilt als der Architektur an sich versuche ich mir vorzustellen, wie durch Interventionen wie kleineren Nachverdichtungen weitere Nutzungen dazukommen, der Ort lebendiger und kleinteiliger ergänzt werden könnte und nicht nur stur von einem so symbolträchtigen Unternehmen dominiert wird. Mittlerweile gefällt mir die Sichtachse die Friedrich-Wilhelm-Straße hinunter zum Hochhaus sehr gut, ich freue mich jedes Mal, wenn er mich grüßt, wünsche mir nur, dass der Schmutz und die Scherben über die Brücke wandern und auch auf der anderen Seite der Oker von Leben zeugen.

Mona Trockel